Zusammen mit der Seebrücke Bonn und weiteren Bonner Initiativen richten wir uns mit einem offenen Brief an den Bundesinnenminister Horst Seehofer.

An der bosnisch-kroatischen Grenze, wie auch an vielen anderen EU-Außengrenzen, herrscht eine humanitäre Notsituation: Nachdem das Geflüchteten-Lager Lipa brannte, sind hunderte Menschen obdachlos – bei Minustemperaturen und Schneefällen. Es mangelt an jeglicher Versorgung und Sicherheit, während an der EU-Grenze gewaltsame Push-Backs dokumentiert wurden. Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten missachten in diesen Situationen konsequent die Menschenrechte und führen ihre Abschreckungspolitik fort.

Die Stadt Bonn sprach sich in den letzten 2 Jahren, zusammen mit vielen anderen Städten und Kommunen, mehrfach für die kommunale Aufnahme von geflüchteten Menschen aus. Wir fordern Horst Seehofer auf, die Unterbringung von Geflüchteten durch aufnahmebereite Kommunen zu ermöglichen! Wir fordern ein Ende der Abschottung und Abschreckung seitens der EU und den Ausbau legaler Fluchtwege wie Resettlement, damit Lager wie in Lipa gar nicht erst entstehen.

Hier der vollständige Wortlaut des offenen Briefes:

Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister Seehofer,

die humanitäre Situation an den Außengrenzen der Europäischen Union hat sich durch den
Wintereinbruch und die Obdachlosigkeit vieler Geflüchteter dramatisch zugespitzt.

Nach dem Brand im bosnischen Lager Lipa bei Bihać in Bosnien-Herzegowina leben hunderte
Menschen nun bei Minustemperaturen und heftigen Schneefällen unter freiem Himmel. Auch die
von den bosnischen Streitkräften nun errichteten Zelte reichen bei weitem nicht für die rund 1.000
Menschen aus, die in der Gegend von Bihać in den Wäldern und leerstehenden Gebäuden ohne eine
ausreichende medizinische Versorgung, warme Kleidung und Lebensmittel, leben. Vor allem aber
bieten neue Lager keine adäquate Unterbringung, in denen die Menschen in Sicherheit und Würde
leben können.

Die Geflüchteten harren in der Hoffnung, über Kroatien in der EU einen Asylantrag stellen zu können,
an der bosnisch-kroatischen Grenze aus. Es gibt gut dokumentierte Berichte von illegalen und
gewaltsamen Push-Backs der kroatischen Polizei. So wird den schutzsuchenden Menschen an den
EU-Grenzen ihr Recht auf einen Asylantrag verweigert. Diese Rechtsbrüche und humanitären
Katastrophen an den Außengrenzen sind nicht hinnehmbar.


Die Stadt Bonn gehört seit dem 26.09.2019 dem auf Initiative der Seebrücke gegründeten Bündnis
Sicherer Häfen an. Die über 200 Städte und Kommunen, die dem Bündnis bereits beigetreten sind,
zeigen damit ihre Bereitschaft, Menschen in Not zu helfen und mehr Geflüchtete aufzunehmen, als
ihnen durch die Verteilungsquoten zugewiesen werden. Sie setzen ein Zeichen für die Achtung der
Menschenrechte, eine menschenwürdige Unterbringung und gegen die Abschreckungspolitik der EU
und ihrer Mitgliedsstaaten.

In der „Bonner Erklärung zur Aufnahme von Geflüchteten“ des Bonner Stadtrats vom 05.11.2020 hat
die Stadt Bonn der Bundesregierung bereits angeboten, bis zu 200 Menschen aus dem Griechischen
Lager Moria aufzunehmen. Mit diesem Beschluss und dem Beitritt zum Städtebündnis Sicherer Häfen
hat die Stadt sich bereits mehrfach für die kommunale Aufnahme von geflüchteten Menschen
ausgesprochen.


Die aktuelle humanitäre Notsituation in Bosnien veranlasst uns zu der erneuten Aufforderung, die
Unterbringung von Geflüchteten durch aufnahmebereite Kommunen, wie der Stadt Bonn, zu
ermöglichen.

Wir, als Teil der Bonner Zivilgesellschaft, sind überzeugt, dass die Abschottungspolitik der
Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten der falsche Weg ist. Sie führt zu unermesslichem
menschlichen Leid und einem Verrat an den vielbeschworenen „Europäischen Werten“. Wir fordern,
einen anderen Weg einzuschlagen und auf Leid nicht mit Abschottung und dem Beharren auf einer
europäischen Lösung zu reagieren, sondern die Rechte der Menschen ins Zentrum zu stellen und zu
achten. Aus unserer Sicht bedeutet dies, die Menschen aus Lipa zu evakuieren und in Sicherheit und
Würde unterzubringen.

Die Bonner Zivilgesellschaft ist bereit, ihren Beitrag dazu zu leisten.

Mit freundlichen Grüßen