Allein in Bonn haben etwa 10.000 Menschen keinen ausreichenden Zugang zu medizinischer Versorgung. Besonders betroffen sind Menschen ohne Papiere. Die Situation ist nicht neu, doch durch die Corona-Pandemie dramatisch verschärft. Vor diesem Hintergrund forderte der AKS Bonn e.V. am 7. April 2020 von Oberbürgermeister Sridharan und Stadtdirektor Fuchs eine schnelle, pragmatische Lösung für die Betroffenen, welche nicht zuletzt auch dem Infektionsschutz der gesamten Bevölkerung dient.
Der gemeinnützige Verein Anonymer Krankenschein Bonn ist ein Bündnis von lokalen Organisationen wie der Flüchtlingshilfe Bonn e.V., die sich für das uneingeschränkte Recht auf Gesundheit einsetzen, denn:
Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet; […]
Artikel 25, Absatz 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
Hier der vollständige Wortlaut des offenen Briefes:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Sridharan,
sehr geehrter Vorsitzender des Corona-Krisenstabs Herr Stadtdirektor Fuchs,
die COVID-19-Pandemie stellt die Weltbevölkerung vor eine nie dagewesene Herausforderung. Auch in Deutschland werden weitreichende und kostenintensive Maßnahmen ergriffen, um die medizinischen, wirtschaftlichen und persönlichen Belastungen und Einschränkungen abzufedern. Durch solidarische Maßnahmen sollen diese negativen Folgen für jede und jeden Einzelne*n so gering wie möglich gehalten werden.
Trotzdem gibt es Personen, die von medizinischer Versorgung ganz oder teilweise ausgeschlossen sind. Allein in Bonn leben schätzungsweise 10.000 Betroffene: Menschen ohne Papiere, EU-Bürger*innen ohne Arbeit, Wohnungslose, Nicht-Krankenversicherte sowie Privatversicherte im Notlagentarif, die die hohen Beitragszahlungen für ihre private Krankenversicherung nicht aufbringen können.
Gerade diese Menschen haben in der aktuellen Situation mit besonderen Problemen zu kämpfen:
- eingeschränkter Zugang zu Informationen bezüglich COVID-19, da eine Beratung durch Ärzt*innen oft nicht möglich ist und die meisten öffentlichen Informationen nur auf Deutsch verfügbar sind
- keine ausreichende Möglichkeit, sich auf das neuartige Corona-Virus testen und im Notfall behandeln zu lassen
- Unsicherheit bezüglich der Kostenübernahme für Testung und Behandlung, besonders bei einer notwendigen Intensivbehandlung im Krankenhaus
- Angst vor juristischen Konsequenzen bei Inanspruchnahme medizinischer Leistungen (z.B. Angst vor Abschiebung bei Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität).
Diese Problematiken können dazu führen, dass Menschen ohne Krankenversicherung sich im Krankheitsfall weder testen noch behandeln lassen und erforderliche Infektionsschutzmaßnahmen nicht ausreichend umgesetzt werden. Neben lebensbedrohlichen Verläufen und höheren Kosten, die durch eine frühzeitige Behandlung hätten vermieden werden können, bedeutet jede unerkannte und folglich nicht adäquat behandelte und isolierte SARS-CoV2-Infektion eine Gefahr für alle im gesamtgesellschaftlichen Kontext.
Bisher haben ehrenamtliche Strukturen wie MediNetzBonn e.V. oder die Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung in Köln und Euskirchen die unzureichende Gesundheitsversorgung dieser Menschen zumindest teilweise ersetzt. Aufgrund überfüllter Wartezimmer, mangelnder Kapazitäten für infektiologische Tests, unzureichender Ausstattung mit Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel und damit einhergehender Gefährdung des ehrenamtlich engagierten Personals, kann dieses Versorgungsangebot aktuell allerdings nicht mehr oder nur noch mit erheblichen Einschränkungen stattfinden. Und das, obwohl der Bedarf in Zeiten von COVID-19 natürlich weiterhin und sogar mit erhöhter Dringlichkeit besteht.
Der Flüchtlingsrat NRW schreibt dazu in einer aktuellen Pressemitteilung vom 19.03.20: „Illegalisierten (Menschen ohne Papiere) muss der Zugang zum regulären Gesundheitssystem und zu Corona-Tests ermöglicht werden. Dies erscheint auch epidemiologisch sinnvoll! (…) Eine temporäre Gesundheitskarte einzuführen, wäre eine Lösung.“
Deshalb fordern wir in dieser Notlage zur Sicherstellung der adäquaten Versorgung und des Schutzes aller Menschen den Anonymen Krankenschein für Bonn. Angelehnt an das Vorbild der Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative STAY! wird der Anonyme Krankenschein (AKS) durch eine neutrale Stelle ausgegeben, bietet den Hilfesuchenden freie Ärzt*innenwahl und den behandelnden Personen und Institutionen eine garantierte Kostenübernahme. Der neu gegründete Verein “Anonymer Krankenschein Bonn” (ein Zusammenschluss verschiedener Bonner Organisationen) hat bereits ein Konzept entwickelt, das diesem Brief beigefügt ist.
Angesichts der dringlichen Lage bitten wir Sie um Ihre Unterstützung: Bemühen Sie sich um eine zeitnahe pragmatische Lösung für diese vulnerable Personengruppe! Wir alle sind mit den Folgen dieser Pandemie konfrontiert und erleben aktuell auch, wie in kürzester Zeit und in bisher nicht gekannter Weise politische Ressourcen aktiviert werden. Bei aller Unruhe und Verunsicherung, die nun herrschen, ist es noch dringlicher, jene Mitglieder unserer Gesellschaft zum Schutze aller nicht zu vergessen, die auf besondere Hilfe angewiesen sind.
Gerne stehen wir zeitnah für einen weitergehenden Austausch zur Verfügung und freuen uns, wenn Sie Kontakt zu uns aufnehmen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Verein Anonymer Krankenschein Bonn
Die Einführung des Anonymen Krankenscheins in Bonn wird von folgenden Organisationen ausdrücklich unterstützt:
Evangelischer Kirchenkreis Bonn
Evangelischer Kirchenkreis Bad Godesberg-Voreifel
Katholisches Stadtdekanat Bonn
AIDS-Initiative Bonn e.V.
Ausbildung statt Abschiebung e.V.
Arbeiterwohlfahrt Bonn-Stadt e.V.
Caritasverband für die Stadt Bonn e.V.
Der Paritätische Bonn
Deutsches Rotes Kreuz Kreisverband Bonn e.V.
Diakonisches Werk Bonn und Region
Evangelische Migrations- und Flüchtlingsarbeit Bonn (EMFA)
Flüchtlingshilfe Bonn e.V.
Jusos Bonn
MedinetzBonn e.V.
pro familia Bonn e.V.
Seebrücke Bonn
Verein für Gefährdetenhilfe e.V