Mentorenschaft für Flüchtlinge: Das gute Gefühl, nicht allein zu sein

„Aktuell suchen wir wieder Menschen, die sich in Mentorenschaften für die Integration von Flüchtlingen engagieren möchten“, sagt Nadja Müller der Ossio. Sie organisiert bei save me Bonn die Vermittlung von Tandems und springt mit Rat und Tat ein, wenn Fragen auftreten.

Was ist der aktuelle Stand bei unseren Mentorenschaften?

Derzeit betreue ich circa 160 Mentorinnen und Mentoren, die insgesamt über 320 Flüchtlinge in Bonn und Umgebung unterstützen. Auf Seiten der Flüchtlinge gibt es aber eine lange Warteliste. Darum suchen wir dringend weitere Ehrenamtliche, die sich engagieren wollen.

„Wir suchen derzeit dringend Menschen, die als Mentorin oder Mentor die Integrationsschritte unterstützen und begleiten wollen.“ Nadja Müller de Ossio

Nadja mit Amen, Osama und Ahmad beim save me-Sommerfest

„Für mich ist eine vielfältige Gesellschaft sehr erstrebenswert. Dafür, dass wir das hier bei uns in Deutschland hinbekommen, leiste ich sehr gerne meinen Beitrag“, sagt Nadja Müller de Ossio (40), die als hauptamtliche Mitarbeiterin seit Januar 2016 das Mentorenprogramm von save me Bonn betreut. Die studierte Romanistin mit Qualifizierung zur Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache lebte und arbeite acht Jahre in Portugal. Nadja ist alleinerziehende Mutter eines 7-jährigen Sohnes.

Wie finden die Flüchtlinge zu uns?

Die meisten haben Bekannte oder Freunde, die Teile eines Tandems sind. Im Vergleich zu diesen merken sie, dass das Ankommen auf sich alleine gestellt viel schwieriger ist. Oder anders gesagt: Es fühlt sich einfach gut an, jemanden zu haben, zu dem man mit Fragen kommen kann.

Wie gehst Du bei der Vermittlung vor?

Sowohl mit den Flüchtlingen wie mit den Mentor*innen führe ich immer ein ausführliches Vorgespräch. Das ist essenziell für ein Gelingen. Unser Ziel ist die langfriste Begleitung. Da ist es wichtig, die gegenseitigen Erwartungen und Ziele vorab genau zu formulieren.

Was sind wichtige Anliegen auf Seiten der Geflüchteten?

Oft äußern sie vor allem den Wunsch, Sprachkontakt zu haben. Und sie wollen verstehen, wie wir hier ticken, wie es bei uns läuft. Sie möchten Begegnung und Menschen treffen, mit denen sie Deutsch sprechen können. Der Sprachkurs reicht da einfach nicht aus. Häufig geht es auch darum, Projekte gemeinsam zu meistern. Dabei ist das Spektrum ist so vielfältig wie die Menschen, die sich über uns treffen.

Kannst Du Beispiele aus aktuellen Anfragen nennen?

Gerade fragte eine 4-köpfige Familie aus Aleppo (die Eltern mit 2 Söhnen, 16 und 12 Jahre alt) nach Kontakt zu einer deutschen Familie mit Kindern im ähnlichen Alter. Die Kinder gehen aufs Gymnasium, die Mutter ist Grundschullehrerin, der Vater Energieingenieur. Sie suchen einfach nur Kontakt, denn alles was mit Papieren etc. zu tun hat, erledigen sie vollkommen selbständig oder mit Hilfe von Migrationsberatungsstellen. Und kürzlich meldete sich ein 25-jähriger Iraker, dessen Asylverfahren im Widerspruch läuft und der gerne gleichaltrige Deutsche kennen lernen möchte, um besser Deutsch zu sprechen und sich sozial zu integrieren.

Oder ein sehr sympathischer 25-jähriger Syrer, der mit seinen Brüdern hier lebt. Er hat eine Lernschwäche, weil er als Kind an Meningitis erkrankte. Der junge Mann ist wirklich wahnsinnig nett, sehr kommunikativ, aber auch noch langsam in seinem Deutsch. Er möchte aber unheimlich gerne arbeiten. Bei ihm ginge es viel darum, spezielle Angebote aufzutun, die ihm den Weg in die Arbeitswelt erleichtern.

Die meisten Flüchtlinge sind männlich, viele Ehrenamtliche weiblich. Funktioniert das?

Ja! Ich mache fast immer die Erfahrung, dass das wahnsinnig gut läuft.

Wie findest Du eigentlich passende Tandems?

Zum einen indem ich die gegenseitigen Ziele, Wünsche und das mögliche Zeitkontingent abgleiche. Unglaublich wichtig ist auch, dass die Chemie stimmt. Darum die intensiven Vorgespräche. Wenn es dann um passende Paare geht, verlasse ich mich sehr auf mein Bauchgefühl, mein Gespür für Menschen. Damit liege ich zum Glück oft richtig.

„Ängste vor dem anderen, dem Fremden lassen sich nur durch die persönliche Begegnung abbauen.“ Nadja Müller de Ossio

Sind Mentorenschaften immer problemlos?

Ganz ehrlich, mir wäre es suspekt, wenn immer alles nur rosig liefe. Schließlich begegnen sich hier Individuen auf sehr persönlicher Ebene. Da gibt’s natürlich auch Reibung. Aber auch für die Schwierigkeiten bin ich da. Entweder ich habe selbst Lösungsvorschläge oder verweise auf unsere ehrenamtliche Supervisorin. Die allermeisten Mentorenschaften sind Erfolgsgeschichten.

Gibt es eine typische Hürde bei den Mentoraten?

Meistens wird es schwierig, wenn sich die Dinge nicht so zügig und effizient entwickeln wie gewünscht. Bei uns in Deutschland geht eben alles gerne zack-zack und planvoll. Flüchtlinge haben aber oft andere Herangehensweisen oder Prioritäten. Das führt zu Frustration bei den Mentor*innen, während sich die Flüchtlinge unter Druck gesetzt fühlen. Auch „Grenzen setzen“ ist ein häufiges Thema. Am Anfang geht man die Aufgaben oft mit viel Zeit und Energie an. Dann wird es irgendwann zu viel und es ist schwierig wieder zurück zu rudern. Die Regel dabei: Sich für den Erfolg oder das Glück des Anderen nicht verantwortlich fühlen! Anders funktioniert es nicht.

Welche Angebote macht save me außerdem für Mentor*innen?

Gerne werden unsere regelmäßigen Mentorentreffen für gegenseitigen Austausch wahrgenommen. Und dann gibt es natürlich den wöchentlichen Mentorenrundbrief mit Tipps und Terminen, unter anderem mit kostenlosen Infoveranstaltungen und Workshops zu relevanten Themen.

Ab 1. April bekommst du Unterstützung!

Ich freue mich schon sehr auf Jana Gigl. Sie wird sich im Rahmen ihrer halben Stelle vor allem um die Arbeitsmarktintegration kümmern. Jana arbeitet seit zehn Jahren in London in der Flüchtlingshilfe, wo das Ehrenamt traditionell hochprofessionell gestaltet und begleitet wird. Sie bringt also viel Erfahrung für diese Aufgabe mit. Sowohl ihre wie auch meine Stelle wird übrigens zum großen Teil von der Aktion Mensch bezahlt.

Interview: Elke Hoffmann (März 2018)