Fast alle im Bundestag vertretenen Parteien und das BSW sprechen sich im aktuellen Wahlkampf für die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Bekämpfung der irregulären Migration aus (anderer Meinung ist offenbar nur die Linke). CDU/CSU und die AfD aber versprechen Unmögliches: CDU/CSU fordern einen sofortigen faktischen Aufnahmestopp und plädieren für Zurückweisungen an den deutschen Grenzen sogar für Personen, die aus einem anderen EU- oder Schengenstaat einreisen und einen Asylantrag stellen möchten. Herr Merz verstärkt diese Forderungen nach den schrecklichen Morden in Aschaffenburg auch noch. Die AfD möchte eine vollständige Schließung der deutschen Grenzen für Migranten. Dass wir nicht alle Migranten, die zu uns wollen, aufnehmen können, ist klar, ebenso, dass wir schon aus gesellschaftspolitischen Gründen die irreguläre Migration reduzieren müssen. Das geht aber nicht mit einer direkten Zurückweisung an unseren Grenzen oder ihrer Schließung; denn dies ist juristisch praktisch ausgeschlossen und faktisch unrealistisch.

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat in einer Ausarbeitung vom 24. Januar 2024 festgehalten, dass „Zurückweisungen an deutschen Grenzen nur unter strengen rechtlichen Voraussetzungen zulässig (sind).“ Die Politik bewege sich hier in einem komplexen System verfassungsrechtlicher, europarechtlicher und völkerrechtlicher Vorgaben. Zu nennen sind hier insbesondere die Dublin III – VO und der völkerrechtliche Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement-Gebot), der in der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist. Wollen CDU/CSU ernsthaft an der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 rütteln, einer Konvention, die aufgrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und der daraus folgenden gigantischen Flüchtlingskrise die internationale Solidarität und Zusammenarbeit in humanitären Fragen festschrieb? Und just Deutschland sollte dies tun?

Versuche Deutschlands („Nicht-Eintrittsfiktion“, “Seehofer-Deal“) die Dublin III-VO von 2013 zu unterlaufen, sind wirkungslos geblieben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat zudem am 15. Oktober 2024 klargestellt, dass Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den Grenzen unrechtmäßig sind. Auch die GEAS-Reform, die ab dem Sommer 2026 in die jeweils nationalen Rechtssysteme umgesetzt sein soll, ändert hieran nichts. Unabhängig davon: Was würden wohl unsere Nachbarländer bei pauschalen Zurückweisungen an unseren Grenzen sagen – sämtlich zum Schengenraum gehörend und mit Ausnahme der Schweiz Mitglieder der EU?

Außerdem ist es faktisch unmöglich, die irreguläre Einwanderung nach Deutschland nachhaltig und wirksam zu unterbinden:

  • Die Grenzen Deutschlands mit einer Gesamtlänge von knapp 4000 km lassen sich nicht hermetisch abriegeln oder vollkommen kontrollieren. Das zeigt auch die in der EU wohl am stärksten gesicherte Grenze in Polen zu Belarus. Über diese Grenze sind 2023 127.500 und 2024 83.000 Migranten irregulär nach Deutschland gekommen.
  • Unterstellt, dies gelänge dennoch, würde es nicht das gewünschte Ziel erreichen. Denn ein erheblicher Teil der Illegalen in Deutschland ist legal mit einem Visum eingereist und nach Ablauf dieses Visums einfach hiergeblieben.
  • Will man dieses unterbinden, müsste man die Visavergabe an Migranten, die hier studieren oder arbeiten wollen, einstellen, was vollkommen absurd wäre.

Glaubwürdigkeit ist die Währung in der Politik. Sie bestimmt das Maß des Vertrauens der Bevölkerung in die Politik und das Regierungshandeln – eine gerade in Demokratien unerlässliche Voraussetzung. Dieses Vertrauen schrumpft in Deutschland seit Jahren. Jede Partei, die dieses Vertrauen durch haltlose Versprechungen weiter erschüttert, hilft nur den Populisten. Das gilt besonders für die Migrationspolitik von CDU/CSU:

  • Eine Rechtsstaatpartei hält sich ans Grundgesetz und stellt nicht das Asylrecht, die Genfer Konvention oder die europäische Rechtsprechung in Frage.
  • Eine europafreundliche Partei vergrätzt nicht unsere Nachbarn, sondern hält sich an europäisches Recht.
  • Eine Brandmauerpartei erklärt nicht, ihr sei es egal, wer im Bundestag ihren schärferen migrationspolitischen Vorschlägen zustimmt.
  • Eine Law und Order – Partei sorgt nicht für Chaos an unseren Grenzen.
  • Eine christliche Partei versagt Schutzsuchenden nicht pauschal ihre Hilfe.

Wissenschaft und andere kluge Menschen haben eine Vielzahl von Vorschlägen gemacht, wie man der irregulären Migration besser Herr werden kann. Bei aller Unterschiedlichkeit haben sie eines gemeinsam: Ihre Umsetzung braucht einen langen Atem. Und der ist wichtiger, als haltlose oder populistische Versprechungen zu machen.

 

Bonn, d. 28. Januar 2025

Wedig von Heyden